Neuronale Verschaltung

Die Rhabdomere unter den Kristallzellen sind die eigentlichen Organe der Photorezeption. Im Bild ist ein Querschnitt durch die Ommatidien in Höhe der Rhabdomere zu sehen. Auffällig ist die regelmäßige Anordnung der einzelnen Rhabdomere in einem Ommatidium zu einem Rhabdom. Je sechs Rhabdomere sind um ein siebtes Rhabdomer gruppiert. Eine Verschmelzung der einzelnen Rhabdomere hat nicht stattgefunden. Vielmehr zeigen sich deutliche Lücken zwischen den einzelnen Rhabdomeren. Das Bild eines Längsschnitts (Seite 5) lässt unter dem siebten Rhabdomer ein achtes vermuten. Das Mückenrhabdom der untersuchten Art als unfusioniertes offenes Rhabdom mit acht Rhabdomeren entspricht daher den Beschreibungen, wie sie sich in der Literatur für das Dipterenauge (Das

Auge der Zweiflügler) finden.

Allerdings besteht ein wesentlicher Unterschied zum Auge der höheren Fliegen: Dort sind die Rhabdomere in der Art zu einem Rhabdom zusammengefasst, wie es sich aus der nebenstehenden Abbildung ergibt. Bei der hier untersuchten Mücke hingegen gruppiert sich ein Kreis von sechs Rhabdomeren um das siebte und achte als Zentrum. Die kreisförmige Stellung der Rhabdomere ist in der Literatur z.B. für die Familie der Bibionidae, also der Haarmücken beschrieben (Dettner (1) S. 334).

In jedem Fall weisen die in jedem Ommatidium getrennt voneinander vorhandenen Rhabdomere auf das neurale Superpositionsauge hin, das für die höheren Fliegen besonders gut untersucht ist. Bei dieser Augenform  treffen die parallelen Lichtstrahlen aufgrund des Divergenzwinkels zwischen den optischen Achsen der Ommatidien stets auf unterschiedliche Rhabdomere. Dieser Sachverhalt ist in der nebenstehenden Zeichnung nach Kirschfeld so angedeutet, dass jedes Rhabdomer mit der gleichen „Blickrichtung“  rot angelegt ist.

Sechs der sieben Rhabdomere aus benachbarten Ommatidien mit gleicher „Blickrichtung“ werden im Fliegenhirn im ersten optischen Lobus, der Lamina, zu einer funktionellen Einheit „neuronal“ zusammengeführt. Die Axone als Leitungen der Lichtreize aus den einzelnen Rhabdomeren bilden dort Bündel, die als säulenartige Struktur in der Literatur beschrieben werden.
 

 

In dem nebenstehenden Photo habe ich den Sachverhalt auf das untersuchte Mückenauge übertragen und in das Bild eines Längsschnitts der Ommatidien den Strahlengang des parallel auf das Komplexauge treffenden Lichtes vereinfacht angedeutet. Hier zeigt sich, wie diese Lichtstrahlen aufgrund des Divergenzwinkels, in dem die optischen Achsen der Ommatidien zueinander angeordnet sind, jeweils auf unterschiedliche Rhabdomere fokussiert werden.

Sinn der Struktur des neuronalen Superpositionsauges ist es, die Lichtempfindlichkeit des Gesamtauges zu erhöhen.  Es ergibt sich der gleiche Effekt, wie wenn jeweils sechs benachbarte Ommatidien mit je nur einem Rhabdomer auf einer Ebene angeordnet wären und dementsprechend in die gleiche Blickrichtung sehen würden: Auch auf diese Weise würde die Lichtempfindlichkeit um den Faktor sechs verstärkt, da die Fläche, die das Licht aufnimmt und fokussiert, sechs Mal so groß wäre.

Da die einzelnen Ommatidien aber nicht nur ein Rhabdomer, sondern

mehrere Rhabdomere besitzen, können die einzelnen Ommatidien statt in einer Ebene jeweils in einem Divergenzwinkel zueinander angeordnet werden. Damit ergibt sich, obwohl die aufnehmende Fläche um den Faktor sechs vergrößert wird, dennoch kein Verlust an Auflösung. Denn es genügt dann für die Verbesserung der Lichtempfindlichkeit, dass von den sechs benachbarten Ommatidien jeweils ein Rhabdomer die gleiche Blickrichtung aufweist.
 
 

Die neuronale Verschaltung der Axone in der Lamina ist ein Beispiel für die hohe Komplexität des Dipterenauges. Das folgende Bild eines Querschnitts durch die Lamina eines andern Insekts könnte die säulenartige Struktur wiedergeben.