Konvergenzwinkel
Räumliche Wahnnehmung
Beim Sehen werden durch die Parallaxe im rechten und linken Auge
unterschiedliche Bilder projiziert. Räumliches Sehen ist eine Leistung des
Gehirns, die ganz wesentlich auf der Fusionierung dieser beiden Bilder und
Verwertung der parallaktischen Verschiebungen basiert. Neben der Parallaxe
beruht die Tiefenwahrnehmung aber auch auf anderen Informationen, wie der
Konvergenz der Augenachsen, der Akkommodation (Anpassung auf Entfernungen zur Erzielung eines scharfen
Netzhautbildes), der Beurteilung unterschiedlicher Schärfe von verschieden
weit entfernten Gegenständen (d.h. Einbeziehung der Bildteile, auf die
nicht akkomodiert ist), unterschiedlicher Lichtreflexion an
Oberflächen, Schattenwurf, Perspektive bei bekannten Geometrien, Kenntnis
über die Größe von Gegenständen, Verdeckungen
oder Bewegungseffekten (Vordergrund und Hintergrund, d.h. Parallaxe bei
Bewegung). Stereobilder und Raumeindruck
Bietet man den Augen Bilder an, die fotografisch gewonnen wurden, so lässt
sich das Gehirn täuschen, fusioniert die Bilder und lässt so ein
Raumerlebnis entstehen. Stereofotografie und 3D-Darstellung sind aber
offensichtlich nicht dasselbe wie natürliche Betrachtung. Die genannten
Ursachen der Gewinnung des Raumeindrucks weisen darauf hin. Akkommodation
und Konvergenz der Augenachsen auf einen betrachteten Bereich sind
gekoppelte Reflexe, die bei Betrachtung eines Stereobildes entkoppelt werden
müssen, denn dieses wird in einer festen Entfernung vom Betrachter
präsentiert. Das Bild muss in allen Bereichen, in denen ein Raumeindruck
entstehen soll, gleichzeitig scharf dargestellt werden. Wenn der Blick bei
der Betrachtung einer natürlichen Umgebung umherwandert, wird immer nur ein
kleiner Bereich der Umgebung erfasst, was die parallaktischen Verschiebungen
der fusionierten Eindrücke begrenzt.
Aufnahmebedingungen
Werden bei der Erzeugung von Stereobildern bestimmte Bedingungen nicht
eingehalten, können physiologische Grenzen überschritten werden, die zu
einem Zerfall des stereoskopischen Bildeindrucks führen. Besonders wichtig
ist es, dass die Deviation, d.h. die parallaktische Verschiebung zwischen
korrespondierenden Bildpunkten eine bestimmte Grenze nicht überschreitet.
Bei zu geringer Deviation andererseits verschwindet der Raumeindruck und das
Bild wirkt flach. Sind im Bild weit entfernte Gegenstände ("im Unendlichen")
enthalten, so dürfen keine Gegenstände abgebildet werden, die eine
bestimmte Nahpunktweite unterschreiten. Diese Entfernung hängt von der
Stereobasis, also dem horizontalen Abstand der optischen Achsen der
Aufnahmen und der Brennweite des Objektivs ab. Fehlen nahe Gegenstände
anderseits, kann man zu einer Erhöhung der Stereobasis greifen, um dennoch
einen plastischen Eindruck zu erzielen.
Bei Makroaufnahmen liegen die
abgebildeten Dinge sehr nahe, dafür wird die Fernweite begrenzt und eine
geringere Stereobasis verwendet.
Ich empfehle sehr, sich über
diese Zusammenhänge in dem ausgezeichneten Buch von G. Kuhn
"Stereo-Fotografie und Raumbild-Projektion" zu informieren. Hier konnten nur
einige Anmerkungen gemacht werden.
Stereoaufnahmen mit dem
Stereomikroskop
Es liegt auf der Hand, dass man auch bei der Gewinnung von Stereoaufnahmen
durch ein Stereomikroskop dafür Sorge tragen muss, dass die physiologischen
Grenzbedingungen eingehalten werden. Es ist erstaunlich, dass man zwar oft
Anleitungen zum Fotografieren durch ein solches Gerät findet, aber mangels
Variabilität von Stereobasis bzw. des Konvergenzwinkels über diese Fragen
offenbar wenig reflektiert wird. Ich konnte jedenfalls noch keine
Faustformel finden, wie sie in der Stereofotografie oder Makrofotografie
üblich ist. Daher folgen einige elementare eigene Überlegungen.
Bei der Betrachtung mit dem Stereomikroskop wird das Untersuchungsobjekt
unter einem endlichen Konvergenz-winkel betrachtet, der in etwa 15 Grad
beträgt. Auch die Stereofotografie von Objekten in diesem in Größenbereich
arbeitet mit endlichen Konvergenzwinkeln. Auf die begrenzten Möglichkeiten
einer Verschiebetechnik, die auf parallelen Sehstrahlen beruht, wurde
bereits hingewiesen. Bei geringem
Konvergenzwinkel verschwindet der Stereoeffekt (die Stereobasis wird dadurch
Null), bei steigendem Konvergenzwinkel wachsen auch die parallaktischen
Verschiebungen. Es stellt sich die Frage nach einem günstigen und maximalen
Winkel, sofern man technisch eine Einstellmöglichkeit hat. Bei den
vorgestellten Methoden, Stereoaufnahmen durch Änderung der Lage des
Objekts zu erstellen, bietet sich diese Möglichkeit meist. Zudem ist ein
nicht-stereoskopisches Gerät (Lupeneinrichtung, Photomakroskop) verwendbar.
Maximaler Konvergenzwinkel
Das Objekt befinde sich im Fokus
unter einem Stereomikroskop. Folgende Größen werden benötigt:
β =
Konvergenzwinkel (Winkel zwischen den Sehachsen, unter dem die Halbbilder
aufgenommen werden)
T = Gegenstandstiefe (Fernpunktweite -
Nahpunktweite)
k = Vergrößerungsfaktor (Abbildungsmaßstab) für das reelle Zwischenbild
(Bildgröße/Gegenstandsgröße)
D = Gesichtsfeld, das von der Kamera genutzt wird (z.B. 12mm bei einer
Coolpix 990 auf einen 8x/23-Okular)
βm = maximaler Konvergenzwinkel bei
gegebener Gegenstandstiefe
Tm = maximale Gegenstandstiefe bei
gegebenem Konvergenzwinkel
Dann gilt näherungsweise (βm
in Grad):
βm
= 6*D/(k*T*π) und
Tm = 6*D/(k*β*π)
Dabei ist π die Kreiszahl. Diese Ausdrücke werden
hier
plausibel gemacht.
Unterschreitet der Konvergenzwinkel wesentlich βm, dann
wirken die Bilder flach. Man darf sich die Werte βm und Tm
nicht als scharfe Grenzen vorstellen. Vielmehr wird ein Stereobild bei einer etwas
zu hohen Deviation zunächst als unangenehm und anstrengend empfunden. Es macht
Mühe, die Teilbilder zu fusionieren. Wichtig ist vor allem, dass man den
Effekt erkennt und versucht, ihn zu vermeiden.
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Folgerungen
Entsteht bei der Justierung der Teilbilder wesentlicher Verlust, so ist für
D natürlich nur das tatsächlich abgebildete Gesichtsfeld einzusetzen, das
man leider meist erst nach der Aufnahme kennt.
Setzt man D=12mm (s.o.), einen festen Konvergenzwinkel
(12,7°) und die Vergrößerungsfaktoren des
MBS-10 ein, so ergeben
sich folgende maxi-male Gegenstandstiefen:
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k |
Tm |
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0,6 |
3,00 mm |
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1 |
1,80 mm |
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2 |
0,90 mm |
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4 |
0,45 mm |
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7 |
0,26 mm |
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Diese Tiefen liegen in allen Abbildungsmaßstäben deutlich über
der Schärfentiefe. Befinden sich alle abgebildeten Teile des Objektes im
schmalen Schärfetiefenbereich, sind keine Probleme zu erwarten. Dies ist
aber nicht unbe-dingt bei allen Motiven so. Dazu ein extremes Beispiel:
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Nebenstehendes Bild zeigt
das linke Halbbild einer
Stubenfliege (k=1), deren Kopf scharf abgebildet ist (zu Stapel, s.u.),
deren Beine, Flügel und Körper dies nicht tun, wohl aber zum Gesamtbild
beitragen. Die Gegenstandstiefe übertrifft um ein mehrfaches die akzeptablen
1,8 mm. Wenn Sie mit dem Mauscursor über das Bild fahren, wird das rechte Halbbild
angezeigt, sofern Ihr Browser diese Funktion unter-stützt. Sie können auch auf das Bild klicken, um ein separates Fenster zu
erhalten, in dem zwischen beiden Halbbildern periodisch hin- und hergewechselt wird.
Man erkennt, dass die beiden Teilbilder so justiert sind, dass der Nahpunkt,
der am Kopf liegt, in seiner Lage in beiden Halbbildern übereinstimmt. Die
enormen Deviationen in anderen Bereichen des Bildes sind auffällig. |
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