Stereoaufnahmen mit einem Blendenverfahren

Für den praktischen Gebrauch empfehle ich den Drehtisch zur Aufnahme von Stereobildern. Dennoch möchte ich jetzt ein zweites Verfahren beschreiben, weil es sehr einfach durchzuführen ist. Ich sehe es aber primär unter dem Gesichtspunkt des unterhaltsamen Experimentierens.


Funktionsprinzip
Wenn man von Beugungseffekten und Abbildungsfehlern einmal absieht, bildet das Objektiv alle Punkte einer bestimmten Objektebene auf Punkte einer zugehörigen Bildebene (Filmebene bei einstufiger Abbildung) ab. Ist das Objekt vollkommen flach, so entsteht ein scharfes reelles Bild. Bringt man knapp unterhalb des Objektivs eine runde Blende an, so wirkt diese als Aperturblende. Das Zwischenbild wird dunkler, bleibt aber unter den getroffenen Annahmen (flaches Objekt, Vernachlässigung der Beugung, keine Abbildungsfehler) ansonsten unverändert. Das gilt selbst dann, wenn die Blende aus der optischen Achse zur Seite verschoben wird, denn jeder Ausschnitt aus dem Strahlenbündel, das von einem leuchtenden Punkt  des Objekts ausgeht, wird in der Bildebene auf einen einzigen Bildpunkt abgebildet. Betrachtet man aber Punkte, die nicht genau in der scharf abgebildeten Objektebene liegen, so zeigt sich, dass sie in der vorher genannten Bildebene auf kleine Scheibchen abgebildet werden, die als Zerstreuungskreise bezeichnet werden. Das wird im Abschnitt zur Blende näher ausgeführt. Die Lage des Scheibchens hängt in diesem Fall von der Position der zusätzlich angebrachten Blende ab. Dies sei nachfolgend veranschaulicht.

Im Bild rechts ist die Anordnung alternierend für zwei Blendenpositionen dargestellt. Die im Makroskop mit dem Okular betrachtete Ebene wird als "beobachtetes Zwischenbild" bezeichnet, auch wenn es nicht in die Bildebene zu jedem Punkt des Objektes ist. Der blaue Pfeil liegt nicht in der Objektebene und wird im gezeichneten Beispiel in eine Ebene oberhalb der Zwischenbildebene fokussiert. Es ist lediglich die optische Abbildung der Spitze des blauen Punktes in das Bild eingetragen. Man erkennt, dass bei beiden Blendepositionen das Bild des Punktes in der zugehörigen Bildebene übereinstimmt, die beiden Zerstreuungskreise in der Zwischenbildebene sich aber nicht decken. Durch eine außeraxiale Blende tritt ein Lichtbündel ein, welches das Objekt aus einem bestimmten Blickwinkel wiedergibt. Dementsprechend entsteht ein Zwischenbild aus dieser Perspektive. Alle Objektpunkte, welche die Abbildungsgleichung exakt erfüllen, werden im Zwischenbild dagegen offensichtlich auf einen Punkt abgebildet, welcher von der Lage der Blende unabhängig ist.

Es liegt nun auf der Hand, die Blende nacheinander in zwei gegenüber liegenden Positionen im Bezug auf die optische Achse anzubringen und jeweils eine Aufnahme anzufertigen. Diese beiden Halbbilder können dann zu einem Stereobild kombiniert werden.

 

Die asymmetrische Blende stellt eine Eintrittspupille dar, die den Blendenwert und damit die Schärfentiefe und die Auflösung der Aufnahme wesentlich bestimmt. Sie sondert quasi aus dem Zerstreuungskreis, der sich ohne diese Blende ergäbe, denjenigen Anteil heraus, der zu einem bestimmten Blickwinkel gehört.

Ich will nicht verschweigen, dass die optische Qualität der Aufnahmen durch eine derartige Blende vor dem Objektiv nicht gerade verbessert wird.

Die Lichtwege, die durch die asymmetrischen Blenden erzeugt werden, erinnern an den Strahlengang in denjenigen Stereomikroskopen, bei denen die Teilstrahlen für das rechte und linke Auge durch ein gemeinsames Objektiv geführt werden. Dieser Aufbau ist bei Stereomikroskopen mit Unendlichoptik üblich. Eine Fokussierung, die durch Bewegung des Balgens parallel zur optischen Achse des Objektivs vorgenommen wird, führt wie beim Stereomikroskop zu einer seitlichen Verschiebung des Bildes. Allerdings wird beim Makroskop eine Endlich-Optik eingesetzt (wie beim Stereomikroskop nach dem Greenough-Prinzip) und die Lichtwege werden nicht hinter dem Objektiv getrennt. Auch werden sie bei der Erzeugung der Halbbilder nicht nicht gleichzeitig, sondern nacheinander genutzt. Im strengen Sinn ist ein derartiges Gerät mit asymmetrischer Blende kein Makroskop, wurde doch in der Einleitung  der axiale Strahlengang als wesentliches Merkmal des Makroskops definiert. Ja, man könnte noch einen Schritt weitergehen und ein Stereomikroskop daraus erzeugen: Bringt man gleichzeitig zwei Blenden an, vor die man Polarisatoren mit zueinander orthogonaler Ausrichtung setzt, so kann man durch entsprechende Analysatoren bei den Okularen das Licht entsprechend der Eintrittsblenden wieder trennen. Praktikabel ist das freilich nicht (Lichtverlust, nicht aufgerichtetes Bild).


Erreichbarer Konvergenzwinkel
Bei der praktischen Realisierung stößt der erreichbare Konvergenzwinkel schnell an eine obere Grenze. Der maximale Abstand der beiden Blendenöffnungen ist durch den Durchmesser der Eintrittspupille begrenzt. Zur Erzielung ausreichender Konvergenzwinkel empfiehlt sich daher die Verwendung eines Objektivs hoher Lichtstärke. Im Zwischenbild sieht man, wie von der Seite kommend eine Vignettierung auftaucht, wenn man eine Blende zu weit von der optischen Achse entfernt. Fotografiert man nur einen kleinen zentralen Ausschnitt des Zwischenbildes, kann man deshalb einen größeren Konvergenzwinkel und damit eine größere Stereobasis erreichen. Bei Fotografie durch ein Okular muss man dazu lediglich eine große Brennweite an der Kamera wählen. Selbst unter günstigen Bedingungen beträgt die Stereobasis aber nur wenige Millimeter.

Kann man den Mittelpunkt der Blende um die Länge r von der optischen Achse entfernt anbringen und ist a der Abstand von der Blende zum Motiv, dann lässt sich der Konvergenzwinkel  durch den Ausdruck

β = 2*atan(r/a)

ermitteln. Der Abstand von Blende zum Objekt (a) ist so etwas wie ein Arbeitsabstand und liegt ganz grob in der Nähe der Gegenstandsweite. Da die Gegenstandsweite mit steigender Bildweite sinkt, wächst der maximal erreichbare Konvergenzwinkel mit dem Abbildungsmaßstab.

Ausreichende Konvergenzwinkel habe ich mit einem Normalobjektiv f=50mm, 1:2,0 und moderater Auszugsverlängerung erreicht.

Ich halte diese Randbedingungen und Abhängigkeiten für wesentliche Einschränkung des Verfahrens. Während man mit dem Drehtisch den Konvergenzwinkel nach Wunsch einstellen kann, muss man sich hier an die Gegebenheiten anpassen.


Mechanische Ausführung
Es bieten sich viele Realisierungsmöglichkeiten an. Von einer mit der Hand vorgehaltenen Blende bis zu einem genau einstellbaren Schieber mit Irisblende reichen die Möglichkeiten. Ich habe nur Aufnahmen mit festem Blendendurchmesser unternommen. Der zugehörige Blendenwert (Brennweite/Blendendurchmesser) lag dabei bei etwa 14. Mit dieser starren Festlegung verspielt man offensichtlich einen weiteren Vorteil des Makroskops.

Das Bild rechts zeigt eine besonders einfache Realisierung. Ein Objektivdeckel, der zum Filtergewinde des verwendeten Objektivs passt,  wird mit einer Bohrung versehen, die 3,5mm von der Mitte entfernt ist. Der Durchmesser der Bohrung beträgt ebenfalls 3,5mm. Er wird passend zur Ausrichtung der Kamera an das Objektiv angeklemmt. Nach den ersten Halbbild wird der Deckel in die gegenüber liegende Position gebracht und dann das zweite Halbbild aufgenommen. Eine kleine Marke erleichtert das Auffinden der um 180° gedrehten Position. Nicht nur der Blendenwert, sondern auch der Abstand der Blende von der optischen Achse ist bei dieser Konstruktion festgelegt. Mit dieser einfachen Vorrichtung an einem Objektiv der Brennweite 50mm, Lichtstärke 1:2,0 wurden alle gezeigten Aufnahmen angefertigt. Der Blendenwert ergibt sich damit zu 50/3,5 = 14,3. Etliche Aufnahmen wurden mit einem Abstand a von 75mm angefertigt. Daraus folgt ein Konvergenzwinkel von 5,3°.  Bei hohen Abbildungsmaßstäben kann man Konvergenzwinkel bis zu etwa 8° erreichen.

 

Wer experimentieren will, kann sich einige Objektivdeckel besorgen und mit Löchern in verschiedenem Positionen und verschiedenem Durchmesser versehen. Man könnte alternativ einen Streifen aus dem Gehäusedeckel aussägen und auswechselbare Blechstreifen mit diversen Bohrungen einlegen. Der Deckel dient dann nur als Halter.


Bildbearbeitung
Unter der Voraussetzung, dass die Positionen der Blenden parallel zur Ausrichtung der Kamera liegen, ist eine Drehung der Halbbilder nicht erforderlich. Man kommt oft sogar ohne Verschiebung der Halbbilder aus. Diejenigen Punkte des Objektes, die exakt in der fokussierten Objektebene liegen, für die also die Abbildungsgleichung erfüllt ist, werden bei beiden Blendenpositionen auf dieselben Punkte in der Zwischenbildebene abgebildet, Objektpunkte vor und hinter dieser Ebene dagegen in versetzte Zerstreuungskreise abgebildet. Die Richtung dieser Verschiebung ist unterschiedlich, je nachdem, ob sich der Objektpunkt vor oder hinter der fokussierten Objektebene befindet. In der Terminologie der Stereofotografie korrespondieren die Punkte der scharf abgebildeten Objektebene mit dem Scheinfenster (siehe das sehr empfehlenswerte Buch von G. Kuhn "Stereo-Fotografie und Raumbild-Projektion", 1999). Ohne gegenseitige Verschiebung der Halbbilder decken sich solche Punkte bei der Wiedergabe am Bildschirm oder im Papierabzug und erscheinen dem Betrachter in genau dieser Entfernung. Objektpunkte, die näher am Objektiv liegen, wirken so, als ob sie vor dem Monitor oder über dem Papier zu schweben würden, Objektpunkte, die weiter vom Objektiv entfernt sind, liegen scheinbar hinter der betrachteten Oberfläche. Durch Wahl der Fokusebene oder durch Verschiebung der Halbbilder gegeneinander, kann die Lage des 3D-Bildes zur Monitor- oder Papieroberfläche verändert werden. Oft legt man den Nahpunkt (Punkt, der dem Betrachter am nächsten ist) auf die betrachtete Oberfläche und verlagert damit das gesamte Objekt dahinter, weil damit die Augenachsen des Betrachters nicht zu unnötig starker Konvergenz gezwungen werden. Arbeitet man dabei ohne Verschiebung der Halbbilder und fokussiert statt dessen das Makroskop auf den Nahpunkt, verschenkt man allerdings die Hälfte der Schärfentiefe, denn der Schärfebereich erstreckt sich vom Fokus symmetrisch nach beiden Seiten. Bei den Bildbeispielen ist eine Aufnahme von Muschelsand zu sehen, bei der auf die entfernter liegenden kleinen Kalkstückchen im Hintergrund fokussiert wurde. Die Halbbilder blieben unverschoben, so dass nun die größeren Schalenstücke vor dem Monitor zu liegen scheinen. Dieser Effekt kann aus gestalterischen Gründen durchaus gelegentlich erwünscht sein.